Ausgedehnte Holzzersetzung im Kronenbereich

Biomechanik
Wind-, Schnee– und Eisbruch sowie ungünstige Lastverteilungen und/oder Hebeleffekte führen ganz regelmäßig zum Bruch oder zum Einreißen dicker Kronenäste und Stämmlinge (z.B. durch „Unglücksbalkeneffekt“ oder das Bruchversagen kopflastiger Äste). Im Bereich der nachgewiesenen oder anzunehmenden Schwachstellen ist eine verstärkte Kontrolle und Pflege der senkrecht nach oben wachsende Triebe (sog. Reiteräste) bzw. der Ersatzkronen durchzuführen.

Gefahrenpotential
Die gute Verankerung der sekundär neu gebildeten Äste bei der abgebildeten Kastanie zeigt, dass die verbreitete Furcht vor ausreißenden Stämmlingen übertrieben ist. Gleichwohl müssen sie regelmäßig kontrolliert und in individueller Abwägung nachgekürzt werden. Zugleich ergibt die natürliche Reaktion auf die Bruchereignisse Hinweise und Vorbilder für Einkürzungsmaßnahmen in Kronen bruchgefährdeter bzw. verkehrssicherungspflichtiger Bäume.

Ökologie
Brüche und Risse in Kronenteilen liefern Eintrittspforten für eine Vielzahl von Lebendbaumbesiedlern unter den Pilzen und Insekten. Außerdem findet man verschiedene Holzzersetzungsstufen (Noch lebende Borken– und Splintbereiche sind ebenso vertreten wie ausgeprägte Übergänge von Holzzersetzungsstufen. Zwischen den Gehölzarten gibt es aus biochemischen Gründen erhebliche Unterschiede in Bezug auf die jeweils zu erwartenden Pilz– und Insektenarten. Je nach Durchmesser der betroffenen Starkäste und Stämmlinge bilden sich nicht selten veritable Höhlenstrukturen mit Mulmkörpern und Nistmaterial aus, die regelmäßig bzw. zeitweilig auch von großen Holzkäferarten wie dem Eremiten (Osmoderma eremita) und dem Goldkäfer (Protaetia aeruginosa) bewohnt werden.
Aus naturschutzfachlicher Sicht haben Pilzansiedlungen in dicken Ästen und Stämmlingen nahe am Hauptstamm den Vorteil, dass besonders lange andauernde, durch Barrierezonen des Stammholzes hinausgezögerte Infiltrations– und Sukzessionsprozesse stattfinden. Oft, aber nicht ausschließlich, sind Bruchstrukturen Auslöser der Habitatentwicklung (Windbrüche, Unglücksbalken, Hebeleffekte, etc.). In den ersten Stufen sind das im abtrocknenden Zustand nährstoffhaltige Frischholz und später das verpilzte Holz potenzielle Lebensstätten für schützenswerte Holzinsekten. Die verpilzten Totholzstrukturen werden gerne von Buntspechten zum Bau von Bruthöhlen genutzt. Das Endergebnis der durch Pilze und nagende Insekten getragenen Abbausukzession sind regelmäßig Großhöhlen mit der schon beschriebenen Vielfalt von Primär– und Sekundärnutzern.

In solchen Strukturen leben zahlreiche seltene und gefährdete Holzinsektenarten, wie z. B. die hier aufgeführten:


 

 

Zeichnung W. Roloff

  • Windbruchstruktur an einem starken Kronenast (Rosskastanie). Ausgeprägte Reiterbildung, Überwallungsaktivität und Einpilzung des offen liegenden Holzes. © N. A. Klöhn
  • Teilweise ausgeheilter Unglücksbalkenriss mit Höhlenbildung. © N. A. Klöhn
  • Der Feuerschwamm Phellinus robustus ist über einen defekten und später gebrochenen Starkast in den Hauptstamm einer Alteiche vorgedrungen. © N. A. Klöhn
  • Der saprophytische Holzpilz Trametes versicolor (Schmetterlingstramete) hat abgestorbene Teile eines geschwächten Stämmlings einer Esche besiedelt und leitet den Bruch sowie die Großhöhlenbildung ein. © N. A. Klöhn