Ersatzkronenbaum durch Schnitt

Biomechanik
Eine Kappung der Krone ist eine Alternative zur Fällung, wenn ein den Habitus erhaltender Rückschnitt, z. B. aufgrund besonders ausgeprägter Defekte, nicht mehr möglich ist. Eine „drastische Einkürzung“ bewirkt auch eine „drastische Entlastung“, so dass insbesondere bei langlebigen Baumarten in vielen Fällen eine Erhaltung noch über Jahrzehnte möglich ist. Beispiele in der Natur und in alten Parkanlagen zeigen, dass so verkleinerte Bäume oft noch sehr lange stehen bleiben und nicht verkleinerte erheblich früher absterben bzw. zusammenbrechen.
Alternative: Statt einer Kappung kommen auch künstliche Brüche in Betracht, die ästhetisch Abbrüche simulieren.

Gefahrenpotential
Gekappte Bäume im verkehrsexponierten Bereich bedürfen einer angemessenen Nachsorge. Unter anderem können an großen Schnittstellen ausgedehnte Faulstellen entstehen. Daher sollten hier neu austreibende Äste regelmäßig kontrolliert werden und in ihrem Längenwachstum begrenzt werden, damit sie nicht ausbrechen. Es kann auch vorkommen, dass mehrere Nachtriebe an einer Schnittstelle durch ihr Dicken- und/oder ihr Längenwachstum in Konkurrenz geraten. Daher sollten Neutriebe durch geeignete Nachschnitte so reguliert werden, dass die Entstehung neuer Bruchrisiken vermieden wird. Bei regelmäßigen Pflegeschnitten kann oft über viele Jahrzehnte eine kompakte Krone trotz innerer Holzzersetzung erhalten werden.
Bei weit fortgeschrittener Fäule im Stamm und/oder in der Stammbasis sollte jedoch auch deren Entwicklung durch Nachuntersuchungen in geeigneten Intervallen beobachtet werden (wie auch bei anderen Bäumen mit Holzzersetzung).

Ökologie
Eine drastische Einkürzung der Krone kann sich lebensverlängernd auf Bäume auswirken. Eine lange Kontinuität gleichbleibender Entwicklungsbedingungen führt in der Regel zur Etablierung qualitativ hochwertiger Lebensgemeinschaften. Die Prognose für an lange Zeiträume gebundene, urwaldtypische Prozesse wie z. B. die Akkumulation und Ausdifferenzierung großer Mulmkörper ist besonders günstig. Verpilzte Holzareale unterschiedlicher Zersetzungsstufen, Besiedlung durch mehrere Pilzarten, intakte Stoffströme, Mulmtaschen, Mulmkörper, enge räumliche Verbindung verschiedenster Mikrohabitate und Tierbauten vom Vogelnest bis zur Holzameisenkolonie erlauben die dauerhafte Ansiedlung einer besonders hohen Zahl von Holzinsekten mit überproportionalen Anteilen überregional gefährdeter Arten bzw. Urwaldreliktarten.
 

In solchen Strukturen leben zahlreiche seltene und gefährdete Holzinsektenarten, wie z. B. die hier aufgeführten:

 Zeichnung: W. Roloff

  • Gleich vier zu verschiedenen Zeitpunkten gekappte Linden blieben als Ersatzkronenbaum erhalten. Sie sind gleichsam Biotop und originaler Teil der historischen Bepflanzung. © N. A. Klöhn
  • Gekappte Linde im Schlossgarten Charlottenburg. © A. von Lührte