Natürlicher Ersatzkronenbaum

Biomechanik
Ein Baum, der sich durch Stammbruch verkleinert hat, hat sich zunächst „selbst gesichert“. So wirken z.B. Großhöhlen als Sollbruchstellen, wenn die verbliebene Wandstärke des Stammes die Lasten nicht mehr trägt. Bei tief beasteten Bäumen erfolgt nach dem Bruch der Krone häufig die Bildung von Ersatz- oder Sekundärkronen, indem die verbleibenden Grünäste auswachsen und die Assimilationsfunktion der ehemaligen Hauptkrone übernehmen. Insbesondere stark austreibende Baumarten wie Linden, Platanen oder Eichen können eine neue kompakte Krone entwickeln. Ersatzkronenbäume sind als natürliche Ruinen eine Augenweide. Daher können sie sich besonders gut in die romantische Landschaftsbilder denkmalgeschützter Parkanlagen einfügen.

Gefahrenpotential
Gebrochene Bäume im verkehrsexponierten Bereich bedürfen einer angemessenen Nachsorge. Unter anderem können an großen Bruch- oder Schnittstellen ausgedehnte Faulstellen entstehen. Daher sollten hier neu austreibende Äste regelmäßig kontrolliert werden und in ihrem Längenwachstum begrenzt werden, damit sie nicht ausbrechen. Es kann auch vorkommen, dass mehrere Nachtriebe an einer Schnittstelle durch ihr Dicken- und/oder ihr Längenwachstum in Konkurrenz geraten. Daher sollten Neutriebe durch geeignete Nachschnitte so reguliert werden, dass die Entstehung neuer Bruchrisiken vermieden wird. Bei regelmäßigen Pflegeschnitten kann oft über viele Jahrzehnte eine kompakte Krone trotz innerer Holzzersetzung erhalten werden.
Bei weit fortgeschrittener Fäule im Stamm und/oder in der Stammbasis sollte jedoch auch deren Entwicklung durch Nachuntersuchungen in geeigneten Intervallen beobachtet werden (wie auch bei anderen Bäumen mit Holzzersetzung).

Ökologie
Eine Einkürzung der Kronen durch natürlichen Bruch kann sich lebensverlängernd auf die Bäume auswirken. Eine lange Kontinuität gleichbleibender Entwicklungsbedingungen führt in der Regel zur Etablierung qualitativ hochwertiger Lebensgemeinschaften. Die Prognose für an lange Zeiträume gebundene, urwaldtypische Prozesse wie z. B. die Akkumulation und Ausdifferenzierung großer Mulmkörper ist besonders günstig. Verpilzte Holzareale unterschiedlicher Zersetzungsstufen, Besiedlung durch mehrere Pilzarten, intakte Stoffströme, Mulmtaschen, Mulmkörper, enge räumliche Verbindung verschiedenster Mikrohabitate und Tierbauten vom Vogelnest bis zur Holzameisenkolonie erlauben die dauerhafte Ansiedlung einer besonders hohen Zahl von Holzinsekten mit überproportionalen Anteilen überregional gefährdeter Arten bzw. Urwaldreliktarten.
 

In solchen Strukturen leben zahlreiche seltene und gefährdete Holzinsektenarten, wie z. B. die hier aufgeführten:

Zeichnung: W. Roloff

  • Die vermutlich älteste Eiche im Berliner Zoo bildet nach einem Stammbruch eine Ersatzkrone. Wer hätte sich getraut einen Gefahrenbaum in dieser Weise einzukürzen? © N. A. Klöhn
  • Eichen-Duo im Schlossgarten Charlottenburg, rechts bildetet sich nach einem Stammbruch eine Ersatzkrone. Der von Rosenkäfern besiedelte Stamm steht weiterhin als Lebensraum zur Verfügung. © N. A. Klöhn